Von Hippel-Lindau-Syndrom (VHL) —
Das Von Hippel-Lindau-Syndrom ist eine sehr seltene erbliche Erkrankung, bei der sich bereits schon früh im Leben gutartige und bösartige Tumoren und Zysten an verschiedenen Organen ausbilden können. Etwa 1 Neugeborenes von 36 000 ist von VHL betroffen.
Die Patientinnen und Patienten entwickeln Gefässmissbildungen (Hämangioblastome) im Bereich der Netzhaut, des Kleinhirns und des Rückenmarkes, Zysten und Geschwulste in vielen inneren Organen (Bauchspeicheldrüse, Nieren) und bösartige Tumoren, vor allem der Nieren (Nierenzellkarzinom) und Nebennieren (Phäochromozytom). Im Bereich des Innenohres können sich ebenfalls Tumoren bilden (endolymphatische Sack-Tumoren, ELST).
Symptome
Beim VHL-Syndrom treten Symptome auf, die durch Fehlfunktionen der betroffenen Organe gekennzeichnet sind. Angiome der Netzhaut führen zu Sehstörungen, Tumoren des Innenohres zu Hörstörungen und Schwindel, Hämangioblastome des Kleinhirns und des Rückenmarkes zu neurologischen Ausfällen und bösartige Tumoren der Nieren zu Nierenfunktionsstörungen und Metastasen in anderen Organen (z.B. Lungen). Seltene endokrine Tumoren der Bauchspeicheldrüse (pankreatische neuroendokrine Tumoren) stören den Blutzuckerstoffwechsel, die Verdauung oder die Gefässregulation (Flush-Symptomatik). Tumoren der Nebenniere oder der Ganglienzellen des sympathischen Nervensystems rufen anfallsartige, exzessive Blutdrucksteigerungen hervor. Allerdings können auch viele dieser Geschwulste und Zysten lange Zeit ohne Symptome bleiben und sich selten auch ohne Behandlung zurückbilden.
Entstehung und Ursachen
Die Krankheit entsteht durch Mutationen im VHL Gen. Bei familiärem Auftreten wird die Krankheit autosomal dominant vererbt, d.h. Nachkommen erkrankter Personen haben eine 50%-ige Wahrscheinlichkeit, das krankhafte VHL Gen zu erben und somit selbst zu erkranken.
Diagnostik
Sofern keine neuen Symptome auftreten, bieten wir Patientinnen und Patienten eine jährliche Vorsorgeuntersuchung an. Dabei sind einige Untersuchungen erforderlich und andere, je nach Symptomen, optional und werden individuell abgestimmt.
Erforderliche Untersuchungen:
allgemein internistische Untersuchung und Besprechung
endokrinologische Untersuchung inklusive Blutentnahme
augenärztliche Untersuchung
MRT-Untersuchung des Gehirns und des Rückenmarkes
MRT-Untersuchung des Abdomens (Bauch)
Optionale Untersuchungen und Beratungen:
Hör- und Gleichgewichtstestung (z.B. bei Innenohrtumoren)
gastroenterologische Untersuchung (Magenspiegelung und Endosonographie)
urologische Untersuchungen (z.B. bei Nierentumoren)
nephrologische Untersuchung (z.B. bei Nierentransplantation)
humangenetische Beratung (z.B. bei Kinderwunsch)
sozialmedizinische Beratung (z.B. bei Arbeitsunfähigkeit und IV-Fragen)
Behandlungen und Therapien
Eine Heilung des VHL-Syndroms ist nicht möglich, da die Ursache in den körpereigenen Genen liegt. Spezialistinnen und Spezialisten können die verschiedenen Tumoren gut behandeln. Um Komplikationen zu vermeiden, sind regelmässige Vorsorgeuntersuchungen nötig. In den USA wurde 2021 ein Medikament zugelassen, das speziell beim VHL-Syndrom zur Behandlung von Nierentumoren und Hämangioblastomen des zentralen Nervensystems zum Einsatz kommen kann.
Betroffenen mit einer VHL-Veranlagung wird empfohlen, sich frühzeitig einem interdisziplinären Vorsorgeprogramm zu unterziehen. Dadurch können geeignete Behandlungsmassnahmen festgelegt und schwere gesundheitliche Beeinträchtigungen des VHL-Syndroms verhindert werden. Durch die interdisziplinäre Abstimmung und Koordination der Spezialistinnen und Spezialisten kann die für die Patientin oder den Patienten bestmögliche Behandlung erreicht werden.
Diagnostik
Folgende Methoden können zur Diagnosestellung zum Einsatz kommen.
Ultraschall (Sonographie)
Ultraschall, oder auch Sonographie genannt, ist die Anwendung von Ultraschallwellen (vergleichbar der Schallwellen in Sprache oder Musik) als bildgebendes Verfahren unter anderem zur Untersuchung von organischem Gewebe in der Medizin.
PET-CT
Die Positronen-Emissions-Tomographie, kombiniert mit einer Computertomographie (PET-CT), ist ein modernes nuklearmedizinisches Untersuchungsverfahren, welches mit hoher Präzision Tumore und Entzündungen erfassen kann.
Computertomographie CT
Die Computertomographie (CT) erzeugt mit Hilfe von Röntgenstrahlen Querschnittsbilder des menschlichen Körpers. Dabei werden je nach Bedarf in sehr kurzer Zeit (Sekunden) grosse Körperabschnitte wie Kopf, Brust-, Bauchraum, Becken und Extremitäten in hoher Qualität abgebildet. Als schnelles und jederzeit verfügbares Schnittbildverfahren kann sie ein breites Spektrum von Fragestellungen beantworten.
Magnetresonanztomographie MRT
Die Magnetresonanztomographie MRT ist eine äusserst wertvolle, schmerzlose Untersuchung, die es den Radiologen und Radiologinnen erlaubt, Bilder von Ihrem Körperinnern zu erzeugen, die mit anderen bildgebenden Methoden nicht dargestellt werden können. Mit Hilfe eines starken, dauernd vorhandenen Magnetfeldes wird die Verteilung und Menge von Wasserstoffatomen im Körper gemessen und mittels eines leistungsstarken Computers Bilder berechnet. Während der Untersuchung wird in aller Regel eine Serie von Querschnittsbildern mit unterschiedlichem Bildkontrast aufgenommen.
Magenspiegelung (Gastroskopie)
Eine Magenspiegelung, auch Gastroskopie oder Ösophagogastroduodenoskopie genannt, ist ein medizinisches Untersuchungsverfahren, mit dem das Innere von Speiseröhre, Magen und Zwölffingerdarm betrachtet werden kann.
Darmspiegelung (Koloskopie)
Die Darmspiegelung, auch Koloskopie genannt, wird bei beschwerdefreien Patienten ohne familiäre Belastung ab dem 50. Lebensjahr als sogenannte Screening-Koloskopie empfohlen, um frühzeitig potentielle Tumorvorstufen wie Polypen zu entdecken und abzutragen.
Gewebeproben (Biopsie)
Bei einer Biopsie wird von der auffälligen Stelle eine Gewebeprobe entnommen. Dieses Material wird zur Untersuchung ans Institut für Pathologie geschickt.
Lungenspiegelung / Spiegelung der Atemwege (Bronchoskopie)
Die Spiegelung der Atemwege ist heute eine wenig belastende Methode, mit der die Luftröhre und die Bronchien dargestellt und Gewebeentnahmen durchgeführt werden können.
Blasenspiegelung
Wenn der Verdacht besteht, dass die Blase einen krankhaften Prozess aufweist, führt die Urologin oder der Urologe eine sogenannte Zystoskopie durch, das heisst eine endoskopische Beurteilung der Harnblase.
Spiegelung des Rachens, des Kehlkopfes, der Speise- und Luftröhre (Panendoskopie)
Eine Panendoskopie wird bei fast allen Patienten und Patientinnen mit einem Verdacht auf eine Krebserkrankung (Malignomverdacht) im Hals-Nasen-Ohrenbereich durchgeführt.
Automatisches Total Body Mapping (ATBM)
Hautkrebs ist heilbar, wenn er früh genug erkannt wird. Die grössten Risikofaktoren sind übermässige Sonnenstrahlung und erbliche Vorbelastung. Die Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie behält Ihre Haut mit Ihnen im Blick. Dabei kommt Technologie für automatisches Total Body Mapping zum Einsatz.
Behandlungen
Häufigste Fragen
In meiner Familie gibt es VHL-Fälle. Ist es garantiert, dass auch ich betroffen bin?
Nein. Bei einem erkrankten Elternteil besteht für jedes Kind ein 50%-iges Risiko, auch von VHL betroffen zu sein.
Wann sollte auf VHL getestet werden?
Mögliche Kriterien, die auf eine VHL Erkrankung hinweisen können und eine Testung nach sich ziehen sollten, sind:
nachgewiesene VHL Fälle in der Familie
Tumoren der Netzhaut (retinale Angiome)
Gefässtumoren (Hämangioblastome) in Hirn und Rückenmark
sog. endolymphatische Sacktumoren des Innenohres
Auftreten von Nierenzellkrebs in sehr jungem Alter (Erstdiagnose vor 45 Jahren) oder multipler oder beidseitiger Nierenzellkrebs
Ab welchem Alter sollte mit den Vorsorgeuntersuchungen begonnen werden, wenn man von VHL betroffen ist?
Die ersten Untersuchungen (klinische Untersuchung, Blutwerte, Augenuntersuchung) sollten bereits im Kindesalter aufgenommen werden. MRT-Untersuchungen von Hirn, Rückenmark und Bauch sind etwa ab dem Teenageralter empfohlen.
Wie funktioniert die genetische Testung?
Zunächst erfolgt ein Beratungsgespräch durch eine Humangenetikerin oder einen Humangenetiker. Die Testung selbst kann einfach aus einer Blutprobe erfolgen.
Eine Behandlung mit dem VHL-Medikament Belzutifan (Welireg) ist sehr teuer. Muss ich die Kosten komplett selbst tragen, wenn ich das Medikament benötige?
Nein. Wie bei anderen teils teuren Medikamenten bei Krebs wird Ihre Ärztin oder Ihr Arzt ein sog. Kostengutsprachegesuch bei Ihrer Krankenversicherung einreichen. Nach Gutsprache dieser werden die Medikamentenkosten dann (abzüglich des üblichen Selbstbehaltes) von den Versicherungen übernommen.